zeit:zonen, Kulturwerkstatt HAUS 10, Fürstenfeldbruck 3.09. – 18.09.2016
Michael Lukas und Sabine Schellhorn

Auszug aus der Eröffnungsrede vom 02.09.2016

 

Ordnungssysteme beherrschen unsere Zivilisation. Uhrzeit und Kalender strukturieren unseren Alltag. Karten erleichtern die Orientierung in uns unbekannten Territorien.

Die allgegenwärtigen Ordnungssysteme sind nicht nur passives Abbild der Gegenwart oder Ausdruck von Geschichtlichkeit, sondern stellen Konstruktionen, Pläne und visionäre Projektionen in die Zukunft dar. Alle diese Ordnungssysteme sind willkürlich getroffene Vereinbarungen ohne Gültigkeit innerhalb des Ganzen als übergeordnete Instanz. Wiederkehrende Rhythmen in Natur und gesellschaftlichem Miteinander repräsentieren ein permanentes Spielfeld für das sich stetig Wandelnde. Der Faktor Zeit ist eine variable Größe, die von individuellen, qualitativen, aber auch von historischen Bedingungen abhängt. Zeit kann ganz physikalisch verstanden den Ablauf eines Geschehens in unumkehrbarer Richtung bedeuten. Zeit kann der Blick in die Vergangenheit wie in die Zukunft sein oder durch die Dauer einer Tätigkeit bestimmt werden, aber sie kann auch durch die Intensität eines gefühlten Augenblicks sprichwörtlich ewig oder viel zu kurz erscheinen.

Sabine Schellhorn (Bremen) und Michael Lukas (Berlin / München) greifen in ihren Arbeiten Ordnungssysteme aus Raum und Zeit auf und interpretieren diese neu.

„Triangulation der Sehnsucht“ von Michael Lukas besteht aus drei länglichen Fotokästen, die auf klassischen Modellierböcken aufliegen und sich gegenseitig in Form eines Dreiecks überkreuzen. Die in den Kästen befindlichen Fotoprints beschreiben vorüberziehende Landschaften aus dem Zug. Mittels Auslöschung und Überlagerung, die bedingt durch den digitalen Aufnahmeprozess entstehen, werden diskontinuierliche Bildräume geschaffen.

Das orthogonale System der Kartographie dient im künstlerischen Werk von Michael Lukas als strukturelles Werkzeug einer sich stetig fortschreibenden Darstellung unserer Welt. Das künstlerische Vermessen und Codieren realer oder mentaler Landschaften und ihrer mitunter nicht sichtbaren oder messbaren Daten, erfolgt unter dem Aspekt der Verschaltung. „Stationen und Wege bilden zusammen ein System. Punkte und Linien, Entitäten und Relationen.“ Die installativen Arbeiten sind wie Karten strukturiert und eröffnen dem Betrachter eine vielfältige Lesbarkeit. Die in den Objekten gespeicherte Zeit berührt Momente der Erinnerung, des Wandels und der Vision.

Seit Beginn der 90er Jahre liegt Lukas‘ künstlerisches Interesse auf dem Themenschwerpunkt der Landvermessung. Kennzeichnende Merkmale hierfür sind die Dynamik des Bildraums, die Brüche der Mannigfaltigkeit, das Prinzip der Auslöschung.

Karten folgten schon immer Nützlichkeitserwägungen und unterschiedlichen Motivationen. Neben ihrer grundsätzlichen Funktion, der Orientierung, dienten sie auch immer der Festlegung von Herrschaftsgebieten und Herrschaftsansprüchen, markierten natürliche oder politische Grenzen. Karten spiegeln aber auch das jeweilige Wissen ihrer Zeit wider. Karten sind außerdem per se falsch, da sie immer nur einen Teil des Ganzen zeigen und in der notwendigen Verkleinerung vieles verloren geht oder der Abstraktion zum Opfer fällt. Karten sind darüber hinaus, und hier kommt der zeitliche Faktor ins Spiel, bereits im Moment ihres Erscheinens veraltet, da Länder in Auflösung begriffen sind, während neue Reiche entstehen und die Grenzen der festgehaltenen Landschaft sich ständig weiterentwickeln und verändern. Kein Darstellungsmedium ist abhängiger von der „zeitlichen Dimension“ als das der Kartographie und jede Veränderung, die sich im zeitlich-historischen Kontext vollzieht, wird zum unerschöpflichen Datenfluss, der aufbereitet in den neu zu gestaltenden Informationsträger eingezeichnet wird. Hierdurch formuliert das Medium ein transparentes Raumgefüge und vermittelt dem Betrachter die Möglichkeit der Ortung und Orientierung. Das veränderte kommunikative Verhältnis des Menschen zur Umwelt und der Niederschlag seines geschichtlichen Bewusstseins, sind lesbare Zeichen. Diesen deutlichen Hinweis auf die enge Verknüpfung von Ort und Geschichtlichkeit beschreibt uns Karl Schlögel in seinem Buch „Im Raume lesen wir die Zeit“: „Karten sind Formen, Kondensate, Konzentrationen, Abreviaturen von Gesamtwissen, von Epochen. Es sind Sammlungen von Blicken auf die Welt, von Weltprojektionen.“

Michael Lukas wie auch Sabine Schellhorn legen ihren Arbeiten das Vorstellungsmodell der Karte und ihr Verhältnis zur Darstellung der Landschaft aus der polyperspektiven Sicht zu Grunde. Beide Werkzyklen bieten uns individuelle Einblicke in den zeitlichen Veränderungsprozess unseres politisch und ökonomisch gestalteten Lebensraums.

 

Presseartikel:

Florian J. Haamann
„Rütteln an den Grundlagen der Zivilisation“,
Kulturwerkstatt HAUS 10, Fürstenfeldbruck
Süddeutsche Zeitung München / Fürstenfeldbruck – 02.09.2016

Ulrike Osman
„Sie malen die Welt schwarzweiß, wie es ihnen gefällt“,
Kulturwerkstatt HAUS 10, Fürstenfeldbruck
Merkur / Fürstenfeldbruck – 02.09.2016