Luise. Die Inselwelt der Königin.          Einführungsvortrag anlässlich der Eröffnung

Pfaueninsel Berlin (2010)

 

Insel und Welt. Diese beiden Begriffe stehen scheinbar diametral gegenüber. Der erste verweist auf eine exilhafte Existenz in Abgeschiedenheit – der zweite auf die entdeckungsreiche Umrundung des Globus. Die Inselwelt der Königin, ein „Pars pro toto“ – Ein Teil, der für das Ganze steht?

Die Geschichte der Pfaueninsel reicht von den ersten steinzeitlichen Funden über die Anwesenheit eines Glasmachers und Alchemisten im 17. Jahrhundert, zu den heute noch prägenden Gestaltungsmaßnahmen des Landschaftsparks durch Fintelmann und Lenné zur Zeit des Preußischen Hofs. Entfacht durch den aufgeklärten Zeitgeist und dem Bestreben einer systematischen Klassifizierung des Unbekannten, finden wir 200 Jahre nach dem Tod Luises die Überreste einer gezielten Ansammlung von exotischen Pflanzen, Tieren und Gebäuden auf der Insel vor.

Über Jahrhunderte unterlag die Pfaueninsel einer steten Verwandlung. Natur wurde gestaltet und sich selbst überlassen. An den Plätzen wo ehemals das Palmenhaus, das Lamahaus  oder das Laboratorium des Glasmachers Johann Kunckel standen, hat sich die Natur ihr Terrain wieder zurückerobert. Mäandrierend schlängeln sich die Wege in der gestalteten Parklandschaft und führen Sie, liebe Besucher an verwunschene Orte mit paradiesischer Anmutung und nähren die Empfindung nach Weltflucht.

Das von mir im Juli 2008 ausgearbeitete, künstlerische Gesamtkonzept zeigt eben diese vielschichtigen inselimmanenten Themen: wie Flora und Fauna, Licht und Zeit, Kunst und Architektur, Spiel und Politik in den ausgewählten künstlerischen Positionen. In meinem Konzept geht es nicht um das einzigartige Kunstwerk, sondern um Phänomene und Menschen, die ihre Ideen zu vereinigen und zu realisieren wissen.

Im Zusammenklang von künstlerischen Positionen und wissenschaftlicher Aufbereitung entstand ein innovativer Ansatz kultureller Vermittlung, der gleichermaßen die an moderner Kunst, wie die an Kulturgeschichte interessierten Besucher, sowie die Garten- und Naturliebhaber umfangreich informiert.

Rhizomatisch entwickelt sich ein Verweissystem des Wissens, das durch bewusst assoziativ und fiktiv gesetzte Positionen einer individuellen Wahrnehmung von Welt nachspürt. Einer Welt, die sich sowohl aus den konkreten Untersuchungen unseres Kultursystems, als auch aus den zeitgenössischen, künstlerischen Spekulationen zu einem Weltbild der Gegenwart zusammensetzt.

Museum und Einrichtungen wie die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin – Brandenburg haben in meinen Augen die Aufgabe, nicht nur restaurativ tätig zu sein, sondern gleichzeitig auf die Themen der Zeit aufmerksam zu machen. Ich denke mit diesem Projekt ist ein Schritt zur Erweiterung Ihrer Möglichkeiten getan. Der Parkbesucher bewegt sich nicht in einem virtuellen Museum, sondern kann seine Beobachtungen und Erkenntnisse auf die Welt anwenden.

Hierfür ein künstlerisches Konzept zu entwickeln erforderte eine sensible Vorgehensweise. Kein Skulpturenpark – kein Partizipations Spektakel sollte hier entstehen, sondern die Möglichkeit einer schrittweisen Entdeckung einer Inselwelt durch die „kontemplative Wachsamkeit“ der Besucher.

 

„En passant“ bezeichnet einerseits den strategischen Spielzug im Schach und andererseits beginnt so „nebenbei“ unser Rundgang über die Insel. Wie in einem Roman von B.S.Johnson – können sie die folgenden Kapitel in beliebiger Reihenfolge lesen. Es werden sich immer neue Erzählstränge und Sinnzusammenhänge eröffnen. Schach, das Spiel der Könige, ist eine Mischung aus Macht, Strategie und Spiel. Sylvie Bussières (*1964 in Quebec) die gebürtige Kanadierin greift in ihrer Arbeit „En passant“ am Schloss den geheimnisvollen und zugleich theatralischen Aspekt der Pfaueninsel auf. In Anlehnung an Lewis Carrolls Alice im Wunderland erfindet sie eine fiktionale Welt, in der die Begegnung mit der Dame – vielleicht Luise –  im Zentrum steht.

Eine unscheinbare Parkbank von Christian Engelmann (*1970 in München) am Kavalierhaus lädt uns zur Rast ein. Doch nach einer Minute wirft sie jeden Ruhesuchenden sanft, aber bestimmt ab. Die Aufforderung zur Kontemplation wird durch den lediglich eine Minute andauernden Ruhezustand ins Gegenteil verkehrt. „Maximal eine Minute“ gehört zum Repertoire unseres Alltagsjargons. Die Bank mit dem bezeichnenden Titel, verweist auf eine zunehmend beschleunigende Gesellschaft, die sich keine Zeit mehr für das notwendige Innehalten und die Reflexion über das eigene Tun gönnen will.

Wie vom Baum gefallen, liegen 100te von Betoneicheln verstreut auf dem Boden unter dem jahrhundertealten Eichenbestand auf der Pfaueninsel in der Nähe des Beelitzer Jagdschirms. Ein fast vertrautes, idyllisches Bild. Das irritierende Moment des Blow-Up-Effekts führt uns jedoch in einen Diskurs über unsere Auffassung von Natur und Natürlichkeit. Die Installation Eicheln von Robert Stieve (*1961 in Melle) erzeugt nicht ohne Ironie widersprüchliche Assoziationen und Gedankengänge, die um das Verhältnis von Eros – wir befinden uns hier auf der Lustinsel von Friedrich Wilhelm II. –  Fruchtbarkeit, Natur, Mythos und Heimat kreisen.

In der historischen und gerade restaurierten Voliére auf der Pfaueninsel tummeln sich noch nie gesehene Tierarten. Fotos, Röntgenaufnahmen und wissenschaftliche Texte bezeugen die aufklärerische Arbeit des Naturforschers Dr. Ameisenhaufen. Ameisenhaufen, so die fiktionale Beschreibung des spanischen Fotografen Joan Fontcuberta (*1955 in Barcelona)  widmete sich Zeit seines Lebens den Ausnahmeerscheinungen in Darwins Evolutionstheorie. Er sammelte alle Arten von Monstern, hybriden und mutierten Wesen auf seinen ausgiebigen, weltweiten Expeditionen. Seit Roland Barthes das Wesen der Fotografie beschrieben und seit den Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung, wissen wir wie anfällig und zerbrechlich die Wahrheit des scheinbar dokumentarischen Blicks auf unsere Welt ist.

Die Ehrenwache im Luisentempel auf der Pfaueninsel übernimmt für ein halbes Jahr eine Armee aus roten und blauen Abfallgroßbehälter mit eingepflanzten Hortensien. Martin Weimar (*1959 in Ulm) rückt die Lieblingsblume der Königin Luise in das Zentrum unseres Blickfelds. Nach dem frühen Tod der Königin fand man viele Plätze zu ihrem Andenken mit Hortensien bestellt. Weimar ist ein Spezialist auf dem Gebiet der Pflanzen Kunst. Bereits 1985 hat er mit Prof. Michael Seiler, dem ehemaligen Gartendirektor, anlässlich der Ausstellung „Berlin durch die Blume oder Kraut und Rüben“ (Marie-Louise Plessen / Daniel Spoerri) hier auf der Pfaueninsel gearbeitet, oder das berühmte „Grassofa“ von Daniel Spoerri zum Wachsen gebracht.

Auf der Liegewiese der Pfaueninsel treffen Sie bei Ihrem Rundgang auf eine Arbeit von Michael Lukas (*1959 in München) mit dem Titel „Parkett“. Wie ein fliegender Teppich – eine Insel der Sehnsucht – ist das architektonische Zitat des Grundrisses vom Schlosssaal ein Bereich für Spiel und Unbeschwertheit. Die leuchtenden Farben Orange und Violett stellen eine Anspielung auf die barocke Gartenarchitektur dar, wie wir sie aus dem Schlosspark in Charlottenburg mit seinen intensivfarbigen Broderien kennen. Was zu Luises Zeiten das höfische Parkett war, ist 200 Jahre nach ihrem Tod der demokratisierte Freiraum auf der Liegewiese. Das Wechselspiel von Architektur und Natur, ist ein zentrales Inselmotiv und verändert die Wahrnehmung von Innen und Außen.

Am nord-östlichen Ufer der Insel mit Blick auf die Havel befindet sich die Arbeit „Blind pavilion“ von Olafur Eliasson (*1967 in Kopenhagen). Mit Betreten des Pavillons verändert sich das Sichtfeld auf die umliegende Landschaft. Der vor dem Betreten wahrgenommene Panoramablick wird nach und nach durch facettierte Ausblicke reduziert. Im Zentrum des Raumes angekommen, wird die Horizontlinie in einer 360° Bewegung für den Betrachter durch schwarzes Spiegelglas verdeckt. Wir sehen nur noch das Licht des Himmels. Nahtlos passt sich seine Arbeit, die ursprünglich nicht in meinem Konzept vorgesehen war, durch ihre Nähe zu den inselimmanenten Themen in den Ausstellungskanon ein.

Neben drei weiteren künstlerischen Interventionen in der Gärtnerei, dem Kavalierhaus und dem Jagdschirm, treffen Sie bei ihrem Rundgang auf sechs orangefarbene Sitzbänke. Jede Bank präsentiert sich in individueller Form und bietet neben dem Aspekt des Verweilens gleichzeitig auch die Möglichkeit über das private Mobiltelefon eine Toncollage abzurufen. Themen, wie „Luise und der Krieg“, „Spiele und Feste“, „Die königliche Menagerie“, „Johann Kunckel von Löwenstern“, „Ferne Welten“ und „Der Lennésche Rosengarten“ wurden mit der Stimme und unter der Regie von Christian Schult zu einem Kino am Ohr.

 

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Unser Erleben von Natur schafft Gedanken, die die Natur und unser Verhältnis zu ihr reflektieren. Im gedankenlosen Gehen verlieren wir uns und werden zu einem Bestandteil unserer Umgebung. Im gedankenlosen Gehen finden wir uns wieder. Unser Gehen bestimmt den Rhythmus der Wahrnehmung, lässt den Blick zaudern, das Gehör verharren. Widmet sich das Ohr unsichtbaren Geräuschen der Ferne, ertasten unsere Füße unter dem Gewicht des Körpers die Unebenheiten des Bodens, scannt das Auge die Tiefe des Raumes, bestimmt unsere sinnliche Wahrnehmung den Rhythmus unserer Schritte. Trippeln, schreiten, wanken, taumeln, stolpern, hüpfen werden zum Metronom  unserer Existenz.

Die begriffliche Symbiose von GEHEN und DENKEN ist nicht neu, begegnet uns in zahlreichen Passagen der Weltliteratur. Bei Heinrich von Kleist wird „Die Existenzbewegung in Sprachbewegung transformiert“ – bei Thomas Bernhard stehen das „Gehen und Denken in einem ununterbrochenen Vertrauensverhältnis zueinander.“ Der Denkprozess ist untrennbar mit dem Prozess des Gehens verbunden. In Bewegung erlebt der Mensch seine Umwelt, lässt sich von seiner Neugierde leiten – trifft auf das Unvorhergesehene, das Unerhörte.

Die Pfaueninsel ist ein guter Ort zum Gehen und ein ebenso guter Ort zum Denken.

 

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Zur Ausstellung erscheint ein Katalog
„Luise. Die Inselwelt der Königin“ (2010)
Herausgeber: Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, Berlin-Brandenburg
Text und Redaktion: Sibylle Hoimann, Berlin
ISBN 3-910068-00-6
Text dt./engl. 120 Seiten

 

Die Ausstellung wurde gefördert durch:

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