Eröffnung der Dauerausstellung im Landesmuseum für Natur und Mensch, Oldenburg 2006
„Nicht nur Rainer Wittenborn sondern gleichermaßen Michael Lukas und Tobias Wittenborn waren im „Museum für Natur und Mensch“ vor die Aufgabe gestellt, wissenschaftlich gesicherte Erkenntnis zu materialisieren, ohne zu vergessen, dass sie Künstler sind. Die Künstler durften sich nicht in Designer verwandeln, deren zentrales Anliegen sich oftmals nur auf formale Umsetzung und Präsentation des Materials verlässt. Das ging lediglich deswegen, weil die Themen des „Museums für Natur und Mensch“ auch schon Themen der Künstler gewesen waren. …..
Die Fernsicht, die Übersicht thematisiert durch die Landkarte ist in den letzten Jahren in das Zentrum künstlerischen Interesses gerückt – ich erinnere an die Ausstellung „Mapping. Künstler als Kartographen. Kartographie als Kunst“ 1998 in Linz und Bregenz. 2006 lief im Landesamt für Vermessung und Geoinformation in München eine Ausstellung „Stadt und Sterne“ mit internationaler Beteiligung, die Michael Lukas organisiert hat. Die Geste des Überblicks, der weiträumigen Orientierung bleibt erhalten, wir schauen auf die Erde als ob wir im All wären dann aber sehen wir, dass sich unter unseren Blicken die Erde verändert, und wo Orientierung möglich schien, schieben sich Strukturen in den Vordergrund.
Karten, schematische Darstellungen sind ein wesentlicher Bestandteil aller drei Ausstellungseinheiten. Hier wird nicht erzählt, hier wird auf Strukturen hingewiesen, Zustände stehen zur Analyse an. In den freien künstlerischen Arbeiten von Michael Lukas sind Karten seit 1989 Thema. Um voreilige Erzählungen aufzuhalten, haben die Arbeiten mitunter keinen Titel, sondern sind lediglich codiert. Diese Technik, der von Titeln gestützten Deutungslust Schwierigkeiten zu bereiten, hatte schon Kandinsky gewählt, als er seine Improvisationen durchnummerierte. Die Betrachterinnen und Betrachter werden so mit ihrer Neugier auf das Bild zurückverwiesen, nachdem sie im Katalog oder auf einem Titelhinweis Rat gesucht haben. Ziel ist es, den forschenden Blick zu stärken, die Neugier auf die Strukturen und damit auf die Inhalte der Arbeit zu lenken. Dabei ist ein Arbeitsprinzip von Michael Lukas deutlich zu beobachten: Schichten werden sichtbar übereinander gelegt. Über einer im Siebdruck gefertigten Wabenstruktur sind mit Acryl und Tusche farbige Lagen gemalt, die die erste Schicht durchscheinen lassen, darüber Folien. Diese Verschichtung ist nicht nur ein wichtiges Prinzip der Archäologischen Grabung, die im hiesigen Museum eine wichtige Rolle spielt, sondern auch der geologischen Verschichtung oder der Veränderung der Küstenlinie. Während jedoch die musealen Karten an die wissenschaftlichen Erkenntnisse gebunden sind, können die freien Arbeiten neue Welten entdecken, was – wie man sehen kann – nicht nur ein Privileg des Kolumbus ist.
Andere Karten – wie „Belgrad“ aus dem Jahre 2000 – beziehen sich auf aktuelle Ereignisse, hier die Luftangriffe der NATO. Sofort lädt sich für den, der das Ereignis kennt, die Farbe und die Landkarte mit Bedeutung auf, die künstlerischen Strukturen der Oberflächenerfassung treten in den Hintergrund. Sind die Augen erst einmal für den Spannungsprozess zwischen der Karte und dem Ereignis, das sich auf sie niederschlägt, geöffnet, dann scheint mir ein Vergleich mit dem Steinoval in der Geestausstellung angebracht. Das didaktische Ziel, die Raison d’etre dieser Installation ist die Eiszeit und die Bewegung von Erd- und Steinmassen in Nordeuropa. Es sind auch nicht seltene Museumsstücke, die hier ausgestellt werden, sondern Steine, wie sie jedermann finden kann. Da sie einzeln, Stein für Stein gebohrt und an einem Stahlseil befestigt wurden, schweben sie nicht nur, sie sind mit einem hohen Aufwand an Arbeit zu etwas Besonderem geworden: ein Ding, Dinge, die zu respektieren sind, über die nachgedacht werden kann.
Wie deutlich das Steinoval auch unter der künstlerischen Fragestellung der Verschichtung gesehen werden kann, thematisieren Aufnahmen aus unterschiedlicher Perspektive von unterschiedlichen Fotografen. Meiner Ausgangsthese entsprechend „So viel Wissenschaft wie nötig, so viel Kunst wie möglich“ wird der Zugewinn ohne weitere Erklärungen einsichtig. Dem aufmerksamen, visuell erfahrenen Betrachter erschließt sich auf dem Rundgang ein ästhetisches und gleichermaßen wissenschaftliches Strukturprinzip.
Museen sind Orte in denen Gegenstände gesammelt werden, die entweder aus der Naturgeschichte stammen oder aus den verschiedenen Formen menschlicher Arbeit. Gegenstände, Objekte sind aus einem Prozess entstanden, ihr Charakter ist aber davon geprägt, dass der Prozess abwesend ist – bestenfalls ist er zu erschließen. Sie werden in Ausstellungen zu einem Netzwerk von Gegenständen geordnet, zu einem Stilleben, einer „Nature morte“. Die ästhetischen Strukturen von Karten, die Überlagerungen und Verschichtungen thematisieren die abwesende Zeitlichkeit des Prozesses. Veränderungen, die allein in der Zeit möglich sind, können im Anblick der unterschiedlichen Formen vorgestellt und phantasiert werden, Besucher mögen mit den Augen und der Phantasie einen Prozess der Entstehung und Veränderung rekonstruieren. Sie sind durch die ästhetische Spannung dazu herausgefordert.“