Michael Lukas – Malerei und Zeichnung          Prof. Dr. Wolfgang Schäffner

Galerie Michael Hasenclever, München (1989)

 

Daß es Texte über Bilder gibt, sagt nichts über die Gewißheit ihrer Existenz, ihres Standorts aus. Unmerklich agieren die Worte, als träten sie an die Stelle von Bildern, als gäbe es nicht den Sprung, der sie vom Sichtbaren trennt. Die Bilder scheinen sich in einer Sprache abzubilden, die deren Identität und Sichtbarkeit aussagen sollte.

Sprachlos, ohne Titel verharren die Bilder im Sichtbaren. Keine Farbe, weder Linien und Flächen noch Figurationen würden einen Text durchziehen, wenn er von Gelb und Blau, von Zeichnung und Räumen sprechen würde. Die Formen der Sichtbarkeit würden sich dieser machtvollen Gebärde der Worte entziehen, indem sie nur mehr sprachliche Objekte bestimmen, die dem Sehen fremden Regeln entstammen. Der Text über Bilder würde seinen vorausgesetzten Standort verlieren und ortlos in der Sprache irren, jeder Versuch der Annäherung wäre die Fortschreibung der Distanz. Als unsichtbares Gebilde würde er mit der Auslöschung der Bilder beginnen. Selbst wenn die Formen des Sichtbaren und Sagbaren keine gemeinsame Geschichte haben, keine gemeinsamen räumlichen und zeitlichen Koordinaten, worin sie stattfinden, gibt es einen opaken bild- und sprachlosen Raum zwischen Sehen und Sprechen, wo die Bilder sich entziehen und das Sprechen noch nicht einsetzt. Dieser Raum würde den gemeinsamen Ort bezeichnen, an dem ein Text mit Bildern zusammentreffen könnte, indem er, ohne sie sprechend zu wiederholen, die Wege skizzieren würde, die sich dem Sehen zum Sprechen, dem Sprechen zum Sehen öffneten und die zugleich deren geschlossene irreduzible Doppelheit lesbar machten. Der Text würde somit den Ort seines Entstehens suchen, die Bedingungen seiner Möglichkeit auch auf die Gefahr hin abtasten, seine eigene Auslöschung zu betreiben. Vielleicht könnte ein derartiger Text nur konjunktivische Sätze enthalten, um die Entscheidung über Setzung oder Aufhebung der Aussagen noch aufzuschieben.

Der Übergang der Malerei von der Abbildlichkeit zum Informalismus leitet deren Selbstreflexion ein und vollzieht die radikale Trennung von Sehen und Sprechen. Gegenwärtig ereignet es sich, daß die Maler nicht länger Bilder malen, sondern sich mit ihrer Arbeit gegen das Sichtbare wenden.

Das Stigma der Auslöschung ist den Bilder von Michael Lukas eingesetzt und schleicht sich in jeden bildnerischen Vorgang ein. Da die Bilder an ihrem Verschwinden arbeiten, immer wieder ins Bildlose reichen, setzt der Text eine Bewegung der Bilder fort. Die verschlungenen Grenzen von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit dringen in den Raum der Bilder selbst ein und fordern die Sprache zu ihrem unsicheren, ortlosen Einsatz heraus. Wenn die Bilder dabei nichts anderes darstellen als sich selbst, wenden sie sich der Reflexion ihrer Sichtbarkeit zu, um deren Möglichkeit zu erkunden. Bildnerische Prozesse, die sonst nur der Erzeugung von Sichtbarkeit dienen, verdoppeln sich hier in der Weise, daß sie eine Wendung gegen sich selbst vollziehen.

Als Thematisierung der Sichtbarkeit vollziehen diese Bilder kein traditionelles Reflexionsmodell in dem Sinne, daß sie ihre Sichtbarkeit durch einen Selbstbezug setzen und bestätigen. Wenn in diese nur vorausgesetzte Identität ihr Gegenteil eindringt, gerät sie in ihrem Inneren zur brüchigen Grenzlinie zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Diese Bewegung, die man mit Jaques Derrida Falte nennen könnte, wendet sich auf sich selbst zurück, verfehlt sich, entgleitet und löscht sich aus; sie legt aneinander, stiftet Zuordnung und trennt zugleich: Polyptychon (ptyche = Falte) als diskontinuierliche Bewegung, deren Entfaltung ein irritierendes Spiel von Verdoppelungen, Überlagerungen und Auslöschung treibt. Durch zwei doppelte Gesten, welche diese Grenze von Sichtbar und Unsichtbar beschreiben, bestimmt sich dieses Polyptychon, durch die Geste von Verbinden und Trennen, wie durch diejenige von Bilden und Auslöschen.

Wenn das Auftauchen vereinzelt gegenständlicher und zeichenhafter Elemente ein Repräsentationsmodell an zitiert, das Sichtbarkeit nach gewohnten Abbildprinzipien regelt, so wird dieses Modell hier in mehrfacher Hinsicht durchkreuzt: Aus der Wiederholung von Bildelementen entwickeln sich Reihen identifizierbarer, lesbarer Figuren. Eine Bildsprache scheint sich in diesem Wiedererkennen zu formieren, deren Zeichen auf eine unsichtbare Bedeutung  verweisen. Unversehens würden diese vom Sichtbaren ins Sagbare überwechseln als bildlose Zeichen wie die Buchstaben einer Schrift. In deren serielle Bewegung fügen sich bei Michael Lukas Verschiebungen ein: die unsichtbaren Zwischenräume, die Zeichen mit Zeichen wie deren Bedeutung zu einer Identität verknüpfen, dehnen sich und spalten die Bedeutung ab. Indem die Gleichheiten einer Reihe eher Ungleiches und keine kontinuierliche Einheit sichtbar machen, entledigen sich die verbindenden Zwischenräume ihrer zeichenproduzierenden Funktion. Die Wiederholung fragmentiert die Elemente in radikaler Weise, durchsetzt sie mit unsichtbaren Linien. Sie läßt den Bildkörper zurück, der auf nichts Anderes, Unsichtbares verweist und nur sich selbst meint. Er wird damit sichtbar.

In zweifacherweise wird die Darstellung von Gegenständlichem aufgelöst: zum einen zeigt es sich in bloßen Umrißlinien, die eine Umkehrung von Innen und Außen ermöglichen und deren Abwesenheit sichtbar werden lassen; zum anderen wird die Repräsentation über das vereinzelt Gegenständliche nicht beibehalten. Die unterstellte Identität von realem Gegenstand und Abbild gerät zur instabilen, unsicheren Doppelheit, sie fällt so weit auseinander, daß die wiedererkennbare Schicht sich auslöscht. Wie das Zeichen wäre das bloße Abbild immer unsichtbar, als lichtlos nur gedacht Sichtbares. Zurück bleiben wieder sichtbare Bildkörper, die in das Spiel von Bildern und Auslöschen hineingezogen werden.

Wenn Überlagerungen und Aneinanderlagerungen von Bildsegmenten als grundlegende bildproduktive Prozesse zu bezeichnen sind, so verdoppeln sie sich bei Michael Lukas, indem sie Grenzlinien bilden, welche selbst unsichtbar über Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit ganzer Bildflächen entscheiden. Die aufeinanderstoßenden Bildkanten der Diptychon- oder Triptychon-Tafeln bilden solche Grenzen, die einen Widerstreit von Trennung und Verbindung, von Bilden und Auslöschen dadurch entfachen, daß sie Sichtbares ins Unsichtbare verschieben wie auch Unsichtbares ins Sichtbare, daß sie Figurationen fragmentierend auflösen und wieder andere entstehen lassen.

Und zugleich kann eine derartige Grenzlinie neben der Anlagerung auch Überlagerung bedeuten: jede angrenzende Fläche kann die Auslöschung der anderen sein. In dieser gegenseitigen Neutralisierung löst sich ein Formgedanke auf, da sich jeder Bildkörper über Auslöschung bestimmt. Eine Vervielfachung der Überlagerung baut mehrschichtige Palimpseste auf, deren äußere Schichten tiefer liegende nicht durch eigene Bildintensität verdrängen sondern durch bildnerische Neutralisation. Dabei entstehen schwach durchscheinende Bildebenen am Rande der Sichtbarkeit, die unter Schichtungen verschwinden. Über verschiedene Grade von Durchsichtigkeit entziehen sich Bilder und lassen Spuren bloßer Materialität zurück, Spuren haptisch kaum mehr sichtbarer Qualität.

Indem bildnerische Funktionen ihre einheitsstiftende Ausrichtung verlieren, erhöhen sich die Spannungen zwischen den vielfältigen Bausteinen, wodurch sich Bilder zusammenfügen und in Fragmente zerlegen. Diesem Charakter unterliegen sowohl die Details, die auch als selbstständige Einheiten auftreten können, als auch einzelne Bildtafeln, ja ganze Bilder, deren serielle Offenheit keinen Abschluß zu definitiven Ganzheit festlegt. Als Fragmente zeigen sie ein Fehlen, das nicht auf eine andere, jenseitige Sphäre weist, worin dieses Ganze stattfinden könnte, eine Abwesenheit eher, die dem Verschwinden des Bildhaften Anwesenheit verleiht. Und in keiner synthetischen Bewegung des Blickes würden sich diese Vielheiten zur Einheit, die Bruchstücke zu irgendeinem Ganzen verbinden. Wenn Räume, Farben und Figurationen als Elemente einer sichtbaren Abwesenheit auftauchen und verschwinden, wird der Blick zu oszillieren beginnen, beunruhigt und irritiert. Er müßte alle Standpunkte zugleich einnehmen können, um dem Sehen Bilder zu erhalten, die sich beständig entziehen.

Das offene System dieser Fragmente erlaubt eine Vielfalt kombinatorischer Möglichkeiten, deren einziges Prinzip die Maximierung von Spannungen entlang der Grenze von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit verfolgt. Dieser Kombinationsprozeß endet nicht mehr mit der ‚Fertigstellung‘ der Bilder, da die Verknüpfungs- und Teilungsmöglichkeiten der Tafeln fortbestehen; ebenso ist jeder rezeptive Blick eine neue Verschiebung des Sichtbaren, indem die jeweiligen Reihungen Zuordnungen stiften, wobei sich Bildhaftes produziert, das anderes wieder auslöscht. Das Sichtbare wird erneut Ereignis, in dem es verschwindet.

In dem Maße, in dem die unreduzierbaren hermetischen Vielheiten Grenzlinien um sich ziehen, lassen sie sich von keiner Ordnung zur Einheit zwingen. Nur in Sprüngen sind diese Grenzen zu überschreiten, in zufälligen, abrupten Bewegungen. Zwischen den verschiedenen Sphären, Fragmenten oder Medien ist keine Übersetzbarkeit möglich ohne diese beiden doppelten Gesten. Dieser Hermetik setzen sich die Worte aus, die sich an den Rand der Sichtbarkeit heranwagen, an dem sich bei Michael Lukas keine Titel formiert haben, vielleicht um diesen sprach- und bildlosen Raum nicht zu früh mit Worten zu überschreiten und einzugrenzen, vielleicht, weil sie verschlungen und labyrinthisch wie unendliche Texte sein, wie bloße Namen das zahllose Ereignen des Sichtbaren benennen müssten.

 

(Der Text ist dem Ausstellungskatalog „Michael Lukas“ entnommen, der anlässlich einer Einzelausstellung in der Galerie Hasenclever, München 1989 erschienen ist.)